Nachwuchs-Schiedsrichter

Artikel 4:

Kinder pfeifen Kinder

Nicht erst seit dem grandiosen WM-Erfolg im eigenen Land erlebt der Deutsche Hockey-Bund einen erfreulichen Mitgliederzuwachs. Aber auch schon vor der Weltmeisterschaft brauchte sich der DHB keine ernsthaften Nachwuchssorgen zu machen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Kommission für Schiedsrichter- und Regelfragen (KSR) um jeden Jugendschiedsrichter kämpfen muss. Für KSR-Mitglied Michael von Ameln hat das Nachwuchsproblem die unterschiedlichsten Gründe: „Gerade bei Jugendlichen ist der Ruf der Schiris nicht der Beste. Bei vielen Teenagern ist pfeifen eher uncool. Dennoch gibt es immer noch genügend junge Hockey-Mitglieder, die gern zum DHB-Schiedsrichter ausgebildet werden möchten. Viele wissen nur nicht wie. Und genau das wollen wir ändern“, äußert sich von Ameln kämpferisch.

Nicht umsonst hat der Referent für das Nachwuchsschiedsrichterwesen ein Konzept für die Vereine, die Landesverbände und den DHB erarbeitet. Der 35-jährige selbständige Finanzberater hält regelmäßig Vorträge an der Sporthochschule Köln bei den allgemeinen Fortbildungslehrgängen für Trainer und Jugendliche. Auch den direkten Kontakt zu den Vereinen scheut von Ameln nicht. Auf Anfrage besucht der gelernte Bankkaufmann und katholische Theologe Hockeyvereine und berät Clubs und Landesverbände rund um das Thema Schiedsrichter. Besonders den zahlreichen Jugendlichen gibt von Ameln die Möglichkeit, sich unkompliziert als Schiedsrichter anzumelden und Lehrgänge zu besuchen. „Wir verteilen einen an die Kinder angepassten Schiedsrichtertest, um ihre Regelkenntnisse und auch die Neugierde zu testen. Die Mehrzahl nimmt mit großer Freude an diesen Tests teil. Danach können die Teilnehmer uns anonym mitteilen, ob sie sich zum Schiedsrichter ausbilden lassen wollen oder nicht. Auch für die Praxis raten wir den Trainern, die Kinder ihre eigenen Trainingsspiele leiten zu lassen“, so von Ameln. Im Westdeutschen Hockey-Verband wird von Amelns Konzept nun seit fast zehn Jahren konsequent umgesetzt. Dort hat es zu einem „Luxusproblem“ geführt, weil der Verband aufgrund der hohen Interessentenzahl nicht jedem Schiedsrichteraspiranten einen Ausbildungsplatz anbieten kann.

Deutlich bewertet „MvA“ auch die Arbeit in den Landesverbänden: „In vielen Verbänden wird eine hervorragende und gute Arbeit geleistet; leider versuchen einige Verbände Untätigkeit auf diesem Gebiet durch ‚Strukturprobleme’ zu entschuldigen. Man kann in jedem Verband etwas erreichen, wenn man dies will und konsequent daran arbeitet.“

Nach dem Motto „die kleinsten an die Pfeife lassen“ verspricht sich der seit sechs Jahren in der Bundesliga aktive DHB-Schiedsrichter sehr viel. Die Vorteile liegen für von Ameln deutlich auf der Hand: „Jedes Kind lernt, dass es normal ist, ein Spiel zu pfeifen. Als Spieler werden sich die Kinder gut benehmen, da sie die Situation als Schiedsrichter kennen. Angst vor der Pfeife, die heute sogar noch viele Spieler in der Bundesliga haben, werden diese Kinder wohl kaum entwickeln. Gleichzeitig wird das Potential an zukünftigen Schiedsrichtern größer und jeder Verband hat steigende Schiedsrichterzahlen, so dass die Belastungen für den einzelnen geringer werden. Meine Erfahrung als Schiedsrichterobmann des Westdeutschen Hockeyverbandes hat gezeigt, dass sich das Verhältnis zwischen Spielern und Schiedsrichtern stetig verbessert, wenn mehr Schiedsrichterlehrgänge ausgerichtet werden. Viele Spieler lernen die Regeln besser kennen und wissen, was der Unparteiische macht.“

Wichtig ist es von Ameln, dass ein Umdenken bei den Vereinen einsetzt und die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Trainer und Betreuer sollen über den Sinn einer solchen Maßnahme informiert werden. „Ihnen muss man verdeutlichen, dass es ganz normal ist, wenn die Kinder als Schiedsrichter auch Fehler machen“, so das KSR-Mitglied. Eine sehr positive Entwicklung sieht Michael von Ameln in der Professionalisierung des Hockeysports. Diese wirke sich auf die Qualität der einzelnen Bundesligaspiele aus, so dass die Partien immer schneller und attraktiver werden. Um den Spielfluss nicht zu stören oder nicht unnötig zu unterbrechen, müsse aber auch in das Schiedsrichterwesen investiert werden. „Der Hockeysport hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Vieles wird professionalisiert, nur die Schiedsrichter hinken hinterher und sind eher das fünfte Rad am Wagen.“ Dabei, so von Ameln, seien die Schiedsrichter einfach ein notwendiger Bestandteil und die Qualität der Schiedsrichterausbildung habe direkte Auswirkungen auf jedes Hockeyspiel. „Wir müssen mit 9.000 Euro für alle Schiedsrichter-Lehrgänge in der Bundesliga in einem Jahr auskommen. Wir haben sieben Hauptverantwortliche für die Ausbildung von Schiedsrichtern. Leider haben wir auch nur 43 Bundesliga-Beobachter. Jeder Beobachter muss daher zehn Spiele je Saison sichten. Uns fehlt es leider an den finanziellen Mitteln, um das Schiedsrichterwesen weiter nach vorn zu bringen und der sich aufzeigenden Professionalisierung der Mannschaften Schritt zu halten“, so Michael von Ameln.

Doch nicht nur von der Verbandsseite erwartet er mehr Unterstützung. Auch von seinen Schiedsrichterkollegen fordert der 35-jährige eine gute Saisonvorbereitung und ein konstruktives Auseinandersetzen mit den Spielern - auch nach den Begegnungen. „Ich erwarte von den Schiedsrichtern, dass sie sich durch Lauftraining und die Übernahme von Trainingsspielen sowie dauerhaftes Auseinandersetzen mit dem Regelwerk und der aktuellen Regelauslegung vorbereiten und dass sie nicht gleich nach einer Partie die Anlage verlassen, sondern sich dem Dialog stellen. Hockey hat den guten Ruf, dass sich Spieler und Schiedsrichter auch nach der Partie im Clubhaus noch in die Augen schauen können. Gerade bei den Jugendlichen ist ein entspanntes Schiedsrichter–Spielerverhältnis enorm wichtig, damit dem Nachwuchs nicht die Lust am Pfeifen genommen wird“, so von Ameln.

Benjamin Greve, hockeyzeit-Magazin, Dezember 2006

 
Artikel

» Kinder pfeifen Kinder
» Kinder an der Pfeife
» Die Kleinsten
» Demokratie auf dem ...

Portraits

» Tilman Schulz-Klingner
» Jens Peters
» Robert Drost
» Angelika Köppen
» Jürn Dittrich
» Sandra Wagner
» Alexander Gerl

Hinweis:

Das Schiedsrichterwesen in Deutschland steht in den kommenden Jahren vor einer großen Bewährungsprobe. Aus verschiedensten Gründen wagen immer weniger Sportler den Griff zur Pfeife. Aus diesem Grund stellt die Deutsche Hockey Zeitung in unregelmäßiger Folge erfolgreiche Nachwuchs-schiedsrichter vor. Wir drucken diese Portraits mit freundlicher Genehmigung der DHZ noch einmal ab.

 

» Impressum   » Datenschutz © 2024 • hockey.de